Methodisches zu den Lesehilfen
Entstehungsweise innerhalb von 20 Jahren

Die Lesehilfe ist ein Resultat von zwei Lesegruppen innerhalb des Revolutionären Aufbau Schweiz, welche zum Studium von Karl Marx‘ Das Kapital zusammenkamen. Die erste Lesegruppe begann ihre Arbeit im August 1998. Sie schaffte den Ersten und Zweiten Band ganz und den Dritten bis und mit dem Fünfzehnten Kapitel. Die zweite Lesegruppe arbeitete vom Oktober 2006 bis Mitte 2017. Sie studierte zuerst den Ersten, dann den Dritten und zuletzt den Zweiten Band – eine Reihenfolge, die wir auch für unsere Lesehilfe vorschlagen, denn die Kenntnisse aus dem Zweiten Band, die es für das Verständnis des Dritten braucht, sind viel leichter zu vermitteln als umgekehrt.

Einem Verantwortlichen oblag es, die monatlichen Sitzungen der Lesegruppen vorzubereiten. Das tat er zunächst stichwortartig, später etwas ausformulierter mit Anleihen aus dem organisationsinternen „Politslang“. Daraus entstanden Lesehilfen zu den einzelnen Kapiteln und schliesslich der Vorsatz, diese zu Lesehilfen der einzelnen Bände zusammenzufügen.

Diese Entstehungsgeschichte ist im vorliegenden Werk noch erkennbar, obschon zunehmend versucht wurde, den „Politslang“ durch allgemein verständliche Begriffe und Kategorien zu ersetzen und die Beispiele nicht nur für Schweizer LeserInnen, sondern für Lesende aus dem ganzen deutschen Sprachraum verständlich zu machen. Die Bezüge zum jeweiligen Zeitgeschehen wurden stehen gelassen oder aus der Sicht der späteren Jahre etwas abgewandelt oder erläutert. Wiederholungen aus früheren Kapiteln in späteren wurden nicht systematisch angepasst, auch im Hinblick darauf, dass die Abschnitte und Kapitel der drei Bände einzeln studiert werden können.1

Was so entstand, ist kein zusammenhängender Text zum Das Kapital wie z.B. die Bände von David Harvey2. Wir empfehlen vielmehr - nach Kenntnisnahme des jeweiligen Vorwortes der Lesehilfe – die einzelnen Bände des Kapital als zusammenhängenden Text zu lesen und von dort aus die Kommentare der Lesehilfe zu konsultieren.

Einfluss der ökonomischen Entwicklung
In die 20 Jahre Entstehungsgeschichte fielen zwei grosse Kriseneinbrüche der weltweiten ökonomischen Entwicklung des Kapitals:
  1. Ende 2000 – fast ein Jahr vor dem 11. September 2001 – kam der durch die rasante Entwicklung von Informationstechnologie, Computerisierung und Telekommunikation verursachte Konjunkturaufschwung an ein einstweiliges Ende. Dieses Ereignis fand als „Ende der New Economy“ Eingang in die Lesehilfen, vor allem in das Fünfzehnte Kapitel des Dritten Bandes (Lesehilfe_III, S. 55).
  2. 2007/2008 begann die sogenannte „subprime-Krise“ – die schlagartige Entwertung von strukturierten Finanzprodukten, die auf „minderwertige“ Hypothekarkredite in den angelsächsischen Ländern aufbauten –, was zu der als „grosse Finanzkrise“ in die Geschichte eingegangene Krise des Kapitalismus führte. Das weckte das Interesse der zweiten Lesegruppe für den Fünften und Sechsten Abschnitt des Dritten Bandes zum zinstragenden Kapital (Lesehilfe_III, S. 97, 101f, 128). Ein eigener Text dazu – die Datei „Der Wert muss die Geldform durchlaufen“ – wurde deshalb in die Textsammlung eingefügt.

Grundsätzlich interpretieren wir diese Kriseneinbrüche nicht als zyklisch, sondern sehen sie im grossen Rahmen der Anfang der 1970er Jahre ausgebrochenen, historisch unumkehrbaren Kapitalüberproduktionskrise. Die Grundlagen zur Analyse der Krisen im imperialistischen Stadium des Kapitalismus3 liefert Marx vor allem im Dreizehnten bis Fünfzehnten Kapitel des Dritten Bandes.

Einfluss von Sekundärliteratur

Unser Einstieg in das Studium von Marx‘ Kapital erfolgte gleichsam naiv. Wir wollten uns ein Bild davon machen, wie weit unsere Sorgfalt für das Verständnis der komplexen Schrift reichte. Im Hintergrund hatten wir die Marxistische Arbeiterschulung MASCH, Kursus politische Ökonomie4 und das dazugehörige Anschauungsmaterial, Politische Ökonomie Kapitalismus5, ferner die Bücher von W.F. Haug6. Zur Entwirrung des Abschnittes „Der Tauschwert“ im Ersten Kapitel des Ersten Bandes trug Anton M. Fischers Dissertation Der reale Schein und die Theorie des Kapitals bei Karl Marx bei7. Bei der Ausarbeitung des ganzen Ersten Bandes half Altvaters CD Kapital.doc, aus der wir einige der schematischen Übersichten des Inhalts bestimmter Kapitel übernahmen.8 Erst spät stiessen wir auf Wal Buchenbergs mündlich vorgetragene, kluge Kurzfassung aller drei Bände9.

Als wir die oben erwähnten Begleiter für Fortgeschrittene und Einsteiger von D. Harvey zur Kenntnis nahmen, waren unsere Arbeiten schon weit fortgeschritten. Wir sind in unseren Texten nicht mehr explizit auf sie eingegangen, sondern wir verwendeten sie als Ansporn, auf unserem Weg weiter zu gehen. Mit Erleichterung nahmen wir zur Kenntnis, dass Harveys methodischer Ansatz dem unseren weitgehend entspricht10. Die neue Textausgabe des Ersten Bandes, bearbeitet und herausgegeben von Thomas Kuczynksi11 wird leider voraussichtlich erst für zukünftige Überarbeitungen der Lesehilfe relevant werden.

Die Verbreitung von Michael Heinrichs handlicher Einführung12 machte uns auf den ganzen Komplex der sogenannten Neuen Marx-Lektüre aufmerksam. Wir kritisieren in den Lesehilfen seine Position, denn er gibt den proletarischen Klassenstandpunkt zugunsten eines bürgerlichen auf. Ein eigener kritischer Text – Datei „aufbau39Heinrich“ - sowie ein Text von H. Wendt – Datei „Wendt_Heinrich“ – weisen das im Einzelnen nach. Ferner befremden uns die offenbar modisch gewordenen Versuche, einen grösseren Widerspruch zwischen Marx und Engels zu konstruieren, und greifen deshalb auf die Ausführungen von Michael H. Krätke – Datei „Krätke_Engels“ – zurück. Auch die von manchen AutorInnen vorgeschlagene Einteilung in so etwas wie einen frühen, philosophisch-humanistischen und einen späten, kühl-ökonomischen Marx leuchtet uns nicht ein. Wir sehen eine kontinuierliche Entwicklung von Marx‘ Denken von den Ökonomisch-philosophischen Manuskripte 184413 bis zum Dritten Band des Kapitals, wobei früher Erarbeitetes stets in später Entwickeltes integriert ist. Unsere Datei „Begrifflichkeiten“ soll diese Kontinuität illustrieren. Die Negierung des tendenziellen Falls der Profitrate – sogar im Umfeld der Marxistischen Blätter – haben uns zu eigenen Recherchen veranlasst, die in der Datei „Profitratendiskussion“ nachzulesen sind. Rosa Luxemburgs Einschätzung zum Dritten Band – Datei „Luxemburg zu Kapital III“ – ist eine Perle, die wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten wollen.

Methode vor Inhalt

Wir verwenden die Lektüre des Kapitals auch als Schulung in materialistischer Dialektik, der kommunistischen Erkenntnistheorie. Mit der Betonung auf „auch“, denn wir wollen nicht auf die von Karel Kosík14 kritisierte Tendenz hereinfallen, im Kapital eine „applizierte Logik“ zu sehen, in welcher der „ökonomische Inhalt (…) etwas ganz Äusserliches [bleibt], weil er nur der Träger der logischen Bewegung ist“ (S. 157). Aber wir haben, erstens, die Erfahrung gemacht, dass die ökonomischen Inhalte leichter oder sogar erst dadurch wirklich verständlich werden, wenn wir sie aus der Darstellung der Methode hervorgehen lassen. Zweitens konnte Marx die Kritik der politischen Ökonomie unserer Ansicht nach nur deshalb derart fundiert und stringent entwickeln, weil er „seinen Hegel“ wie selbstverständlich intus hatte. Das haben wir nicht, aber wir können uns der Hegel’schen Methode dadurch annähern, dass wir studieren, wie Marx und Engels sie auf Ökonomie und Geschichte anwandten15. Marx hat diese Methode u.a. im Nachwort zur Zweiten Auflage des Ersten Bandes beschrieben (vgl. S. 96f. in unserer Datei „lesehilfe_I“). „Das Kapital“ hat in seinem Aufbau eine frappante Ähnlichkeit mit Hegels Wissenschaft der Logik: Diese behandelt mit der dialektischen Methode diese Methode selbst; jenes mit der gleichen Methode die kapitalistische Ökonomie und ihre Kritik.

Fazit
Die Lesegruppen, aus denen die Lesehilfe Karl Marx zum Selbststudium hervorgegangen ist, verstanden wir von Anfang an als Teil des Aufbaus der subjektiven Seite der Revolution - das Grundkonzept des Revolutionären Aufbau Schweiz. Die TeilnehmerInnen hatten alle eine revolutionäre Praxis im Rahmen unserer Organisation und haben sie zum Teil noch heute. „Aus der Praxis für die Praxis“ gehört demnach zur DNA der vorliegenden Arbeit.